Wie sich von anderen abgrenzen

Schlagwörter: Selbstpflege – Konflikt – Gefühle

Ich werde jetzt bloggen!! Zumindest hoffe ich das.

Ich beschäftige mich ja viel und gerne mit meinen Gefühlen, meinen Reaktionen und gesellschaftlichen Mechanismen ganz allgemein. Das auch schon länger. Entsprechend habe ich einige Strategien entwickelt, wie ich bestmöglich mit mir und anderen umgehen kann. (Das heißt vor allem: Wie ich mich nicht selbst zu Grunde richte. It’s a difficult thing.)
Wie sich herausstellt, sind meine Strategien aber wenig ausgereift, wenn es um Konflikte geht. Vor allem wenn starke Emotionen ins Spiel kommen, fällt es mir schwer von den Gefühlen meines Gegenübers nicht überwältigt zu werden. Nun wurde ich vor einer Weile gefragt, ob ich über dieses Thema schreiben könne und werde es trotz meiner Schwierigkeiten tun. Vielleicht kann di:er eine oder andere in meinen Gedanken etwas Neues finden. Oder hat sogar eigene Strategien, von denen ich gerne mehr erfahren würde.

Was also tun, wenn eine andere Person sich gerade sehr schlecht fühlt und man droht, in dem Gefühl selbst unterzugehen (RW = Redewendung), während man doch nur helfen möchte?
Das direkteste Mittel, was mir unmittelbar einfällt, ist der Person bewusst die Gefühle „zurückzugeben“. Das bedeutet, dass ich mir mehr oder weniger bildlich vorstelle, wie ich der Person ein Bündel mit ihrer Wut/Angst/Verzweiflung/Trauer übergebe. Das klingt zunächst ziemlich herzlos. Stellt man damit nicht symbolisch dar: „Das hier ist dein Problem. Du musst dich alleine drum kümmern.“?
Nein, denn man kann eine Person unterstützen und sogar mit ihr mitfühlen, ohne dass man sich selbst in dem Gefühl verliert (RW). Um genau zu sein ist eine gewisser emotionaler Abstand wichtig, damit man eine Stütze sein kann. Anderenfalls ist man selbst in kurzer Zeit so ausgezehrt, dass man sich entweder völlig von der Person/dem Problem zurückziehen muss oder zwar dableibt, aber emotional stark mitgenommen ist (RW).
Man kann sich auch vor Augen halten (RW), dass es ein Akt der Unterstützung ist andere bei ihren Gefühlen zu begleiten, ohne sie sich zu eigen zu machen. Zu sagen „Du bist gerade in Schwierigkeiten und fühlst dich sehr schlecht dabei – wie kann ich dich unterstützen, damit es dir besser geht? Was möchtest du als nächstes tun?“ vermittelt, dass man daran glaubt, dass die andere Person stark genug ist, um ihr Leben zu bewältigen. Sie ist aber nicht alleine dabei. Man erkennt damit an, dass jeder Mensch di:er Expert*in fürs eigene Leben ist. Man gibt Mut, dass si:er fähig ist, die richtige Entscheidung zu treffen, selbst wenn die Situation momentan aussichtslos scheint. Es ist also kein Zeichen der Gefühlskälte, wenn man sich nicht zu 100% auf die Gefühle einlässt, die man wahrnimmt. Es sendet vielmehr das Signal (RW), dass man eine verlässliche Begleitung ist, die nicht selbst Unterstützung braucht und damit zu den Sorgen der*s Freund*in noch weitere hinzufügt.

Natürlich ist es unmöglich vollkommen unberührt von den Erlebnissen anderer zu sein. Wenn lieben Menschen Schlechtes widerfährt, fühlt man immer mit oder macht sich Sorgen. Insofern ist es durchaus richtig, für die eigenen Gefühle ein Ventil (RW) zu suchen. Besonders Menschen, die lange Zeit in einer pflegenden Position sind (ob körperlich oder emotional oder beides), brauchen selbst zuverlässige Unterstützung. Egal wie sorgfältig man mit sich umgeht, eine starke emotionale Belastung kann man nicht einfach herunterschlucken (RW). Für diesen Fall habe ich über Captain Awkward ein interessantes Konzept kennengelernt: die Ringtheorie.
Sagen wir eine Person A ist im Krankenhaus. Sie ist in dieser Theorie im Mittelpunkt des Kreises, sie erlebt eine persönliche Krise. Person A wendet sich an ihre Freund*innen, Familie, Bekannte, um über ihre Sorgen zu sprechen. Mit einigen wird sie sehr eng verbunden sein, andere sieht sie seltener, zu denen hat sie nur ein loses Verhältnis. Die Ringtheorie sagt nun: Jeder Mensch, der mit Person A bekannt ist, wendet sich mit ihren Sorgen um A nur nach außen. Die, die A am nächsten stehen, wenden sich an ihre Liebsten, aber nicht an A selbst. Diese wiederum wenden sich nur an Menschen, die A weniger nahe stehen als sie selbst usw. Ziel ist es, die emotionale Belastung auf so viele Schultern wie möglich zu verteilen (RW), und immer von denen weg, die einer stärkeren Belastung ausgesetzt sind.
So kann man sich also an andere Freund*innen wenden, wenn man selber gerade überfordert ist (die natürlich vertrauenswürdig sein sollten).

Bis jetzt haben wir also davon gesprochen 1) die Gefühle anderer bewusst nicht zu verinnerlichen und 2) sich selbst emotionale Unterstützung außerhalb des „Krisen-Epizentrums“ (etwa: „Ausgangspunkt“) zu suchen.
Was man nicht vergessen sollte: Auch wenn man Menschen Unterstützung bietet, hat man Rechte. Also nicht im rechtswissenschaftliche Sinne, sondern im … Selbstpflege-Sinn. Man hat z.B. das Recht zu besprechen, in welcher Art man die andere Person unterstützt; Man kann drum bitten, das Thema nicht länger als 20 Minuten oder mit ein bisschen flauschigen Tierbildern zur Einleitung oder nur an sonnigen Dienstagen zu besprechen. – Diese Beispiele sind nicht ganz ernst gemeint, aber ich will sagen: Es lohnt sich in sich zu gehen, ob man eine Pause braucht und wenn ja, darüber zu sprechen. Wie ich oben sagte: Wenn man zerkrümelt (RW), ist man auch keine große Hilfe.
Weiterhin hat man auch die Wahl, ob man Gespräche anbietet oder praktische Hilfe. Wenn ich depressiv bin, kann es für mich z.B. eine sehr große Erleichterung sein, wenn jemand anderes für mich einkauft. Eine praktische Tat, die für andere vielleicht auf dem Weg liegt.
Es hilft allen, wenn man darüber spricht, was man geben kann und was die andere Person braucht. Somit wird verhindert, dass man aneinander vorbei redet und am Ende alle ohne Nutzen erschöpft sind.

Das sind die Vorschläge, die mir einfallen. Was tut ihr, um nicht überwältigt zu werden, wenn ihr anderen beisteht?

Links 36

Schlagwörter: Aktivismus – Selfies – Muttertag – White supremacy – self care – Selbstpflege – Kopftuch – Muslimas – Femen – Rassismus – Queerulant_in – Pille danach – Advice Kolumne – Cis-Sexismus – Ableismus – Hilfe

Femen und die „Befreiung“ der muslimischen Frau*
[Deutsch]

Selbstpflege-Tips für Aktivist*innen
via @hanhaiwen [Englisch]

Die_der neue Queerulant_in ist draußen, als PDF-Download verfügbar oder kostenlos in eurer Nähe ausliegend – hier geht’s zur Karte – und auf S. 32 ein Text von mir! Er verrät euch, wie ihr mit scheiß Menschen umgehen könnt, die ihr regelmäßig sehen müsst. *Freude*
[Deutsch]

Warum Selfies? (Bilder von sich selbst schießen)
[Englisch]

How to write about Africa
via cosas que no se rompen [Englisch]

Eine Karte über Erfahrungen mit der Pille danach in und um Deutschland Ihr könnt eigene Erfahrungen beitragen.
[Deutsch]

„How to Muttertag innerhalb deutscher rassistischer Gesamtscheiße.“
[Deutsch]

Bisher weltweit mindestens 78 Morde von trans* Personen im Jahre 2013
via @dressedasahuman @hrstl [Englisch]

Petitionen

Aufforderung an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Transsexualität nicht mehr als Krankheit zu listen
[Deutsch]
Für eine Aufhebung des Verbots der Vermögensbildung für Menschen mit Behinderung
[Deutsch]

Hilfe

Es gibt nun auch die Möglichkeit für syrische Flüchtlinge zu spenden (via @antonierosa)
Aktionsbündnis Katastrophenhilfe
Spenden-Telefon: 0137-36 36 36 (14 ct/Minute aus dem Festnetz, Mobilfunk mglw. abweichend)

Weiterführende Informationen und Spendenkonten Danke @KhaosKobold.

News

Ich habe einige neue Blogs in der rechten Spalte verlinkt. Schaut euch an, was ihr noch nicht kennt, es lohnt sich :3

Wie viel Verantwortung trägt man für eigene Gefühle? – Teil 1

Schlagwörter: Gefühle – Selbstpflege

Als ich gerade ratlos war, worüber ich hier auf dem Blog schreiben sollte, schlug @evilmel_ mir das oben genannte Thema vor: Wie viel Verantwortung hat man für die eigenen Gefühle? Gerade im Zusammenhang mit dem Buch, das ich zur Zeit lese: Why does he do that? von Lundy Bancroft, ist die Frage spannend. Er schreibt (S. 29)

The abuser would like us to accept the following simple but erroneous formula: ‚Feelings cause behavior.‘ […] Each human being deals with hurt and resentment in a unique way. When you feel insulted or bullied, you may reach for a chocolate bar. In the same circumstance, I might burst into tears. Another person may put his or her feelings quickly into words, confronting the mistreatment directly. Although our feelings can influence how we wish to act, our choices of how to behave are ultimately determined more by our attitudes and our habits

Bancroft greift also die Aussage an, dass Gefühle Verhalten auslösen und ich stimme zu. Natürlich sind Gefühle oftmals die Motivation etwas zu tun – wenn man traurig ist, wird man zum Beispiel sehr wahrscheinlich Trost suchen – aber ein Gefühl zwingt eine*n nicht dazu, auf eine ganz bestimmte Weise zu reagieren. Deswegen ist „Du hast mich halt wütend gemacht.“ keine Entschuldigung dafür, eine*n zu schubsen. Es gibt andere Möglichkeiten auf Wut zu reagieren.

Schöne Erinnerungen und Trigger

Aber beginnen wir im Urschleim (RW=Redewendung): Wie sehr ist man verantwortlich für das, was man fühlt, nicht tut? Das ist man tatsächlich nur zu einem Teil, lautet meine Antwort. Die emotionalen Reaktionen auf das, was man erlebt, sind unwillkürlich. Sie sind sehr wahrscheinlich von der eigenen Erfahrung geprägt, was man gut an schönen Erinnerungen festmachen kann: Man kann mit einem Ort, einer Eissorte, einem Buch schöne Erinnerungen verbinden und sich dadurch wohlfühlen, ohne dass das für andere Menschen gilt. Sie haben anderes erlebt. Niemand würde dir aber vorwerfen „irrational“ auf dein Lieblingseis zu reagieren, weil es dir gefällt (außer Menschen, die dir böses wollen).
Ein unangenehmeres Beispiel sind Trigger, d.h. Geräusche, Situationen, Tiere, alles Mögliche, auf das man unter anderem mit unmittelbarer Angst reagiert – (meist) nicht weil sie gerade in diesem Moment eine Gefahr darstellen, sondern weil sich im Gehirn eingebrannt hat, dass sich im Zusammenhang mit ihnen eine gefährliche Situation abgespielt hat. Auch wenn starke Reaktionen auf Trigger den Umstehenden nicht logisch erscheinen mögen, sind die damit verbundenen Gefühle nicht „falsch“, in dem Sinne, dass man sie nicht fühlen dürfte. Sie sind ein Schutzmechanismus des Körpers. Wenn die betroffene Person daran arbeiten möchte sie loszuwerden, schön, aber niemand hat das Recht, ihr zu sagen, dass die Reaktion „überzogen“ sei.
Was sich aus dem Absatz vielleicht schon herauskristallisiert hat: Ich bin der Meinung, man darf fühlen, was man fühlt. Sei es auch Neid, Eifersucht, Rachegelüste oder andere Gefühle, die in Romanen meist nur bösen Menschen zugeschrieben werden.

Hegen und Pflegen

Ich hatte darüber gesprochen, dass man unwillkürlich mit Emotionen reagiert. Warum sage ich dann, dass man zu einem Teil für die eigenen Gefühle verantwortlich ist? Mit „verantwortlich“ meine ich erst einmal „man trägt zu ihrer Existenz bei“, nicht – wie es oft verwendet wird – „schuld an ihnen“. Ich möchte keine wertende Aussage machen. Ich finde es nicht schlimm, wenn man dazu beiträgt dies oder jenes zu fühlen. Wie also ist man am Entstehen von Gefühlen beteiligt?
Am Entstehen eigentlich gar nicht, aber an der Pflege und Aufzucht. Wut ist ein gutes Beispiel dafür; Du gehst gestresst durch eine Menschenmenge, jemand rempelt dich an. Wir gehen davon aus, dass kurz Wut in dir aufflammt. Was nun? Motzt du die Person an oder gehst du weiter? Sagst du dir, sie haben das sicher nicht absichtlich getan/dich nicht gesehen oder „Wo hat das Arschloch nur sire Augen!“? Jede der zur Verfügung stehenden Reaktionen wird zu einem anderen (emotionalen) Ergebnis führen. Wenn du nur oft genug darüber nachdenkst, kannst du dich sicher noch den ganzen Tag komfortabel über die Person aufregen – oder vielleicht versiegt dein Unmut, sobald du noch einmal die Lage analysiert hast und feststellst, dass sie dich nicht sehen konnten.
Du bist also insofern für deine Gefühle verantwortlich, dass du entscheiden kannst, welche du pflegst und welchen du keine Nahrung gibst.

Einfach positiv denken – oder was?

Das klingt jetzt furchtbar danach, als würde ich „positives Denken“ fordern und unterm Strich (RW) behaupten, dass man selbst Schuld ist, wenn man sich schlecht fühlt, oder?
Was ich sagen will, sind nur die beiden grundlegenden Aussagen: 1) Unwillkürliche emotionale Reaktionen kann man nicht kontrollieren. 2) Wie man reagiert, verändert wie man fühlt.

Die Reaktion verändert wie man fühlt. Das heißt nicht, dass man einfach aus Wut Freude machen kann oder aus Trauer Zufriedenheit. Wir sprechen hier von kleinen Veränderungen wie „viel Wut -> etwas weniger Wut“ oder „Wut -> immer noch Wut, aber ein bisschen Mitgefühl“.
Ebenso ist es wichtig zu erwähnen, dass man emotionale Ressourcen benötigt, um sich um unangenehme Gefühle zu kümmern. Alle kennen wahrscheinlich befreiende Heulkrämpfe – eine relativ automatische Reaktion des Körpers (viel trinken!). Für andere bedeuten überwältigende Gefühle aber, dass sie einfach stumpf werden und funktionieren. Da wird es schon schwerer, sich um die eigenen Gefühle zu kümmern.
Ebenso kann man auf starke Gefühle viel schlechter reagieren, wenn die Quelle nicht verschwindet. Das ist der Grund, warum stressige Situationen derart auslaugen. Sicher kann ich meine Wut verrauchen lassen, wenn einmal jemand kurz gegen mich gestoßen ist. Aber wenn jemand so unvorsichtig ist, mich immer anzurempeln wenn wir uns auf dem Flur begegnen oder es gar absichtlich tut, dann staut sich die Wut eher auf. Mit anderen Worten: auch wenn die eigene Reaktion eine Rolle spielt, hat die Umwelt immer noch Einfluss darauf, was weiter mit den eigenen Gefühlen geschieht.

Da dies länger ist als erwartet, folgt Teil 2 später.

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