Als Überlebende*r…

Schlagworte: emotionale Gewalt – körperliche Gewalt – sexualisierte Gewalt – Überlebende – victim blaming – digging your way out of the fucking hole – Gemeinschaft

Für den Text Trigger-Warnung für victim blaming. Trigger-Warnung für alle Links wegen Themen körperliche, emotionale, sexualisierte Gewalt.

Als Überlebende emotionaler, körperlicher und/oder sexualisiert Gewalt hat man eine sonderbare Welt zu navigieren. Leute sind theoretisch der Meinung, dass, was du erlebt hast, schrecklich war. Nur lieber … getrennt von dir. Man ist sich einig, dass es prinzipiell nicht in Ordnung ist, Menschen so und so zu behandeln. Man wird Zustimmung erhalten, dass es falsch ist, sagen wir, eine andere ohne Grund regelmäßig anzubrüllen. Aber sobald es tatsächlich um ihre Freund*innen, Bekannte, Kinder, dich geht, wird es schlimm. Denn dann musst du damit umgehen, dass dir die menschliche Seite der Täter*innen vorgehalten wird. „Sie wussten es nicht.“ „Sie dachten, sie tun dir Gutes.“ „Sie hatten gerade eine schwere Zeit in ihrem Leben.“ „Aber sie sind doch Familie, Familie hält zusammen.“ „Aber ihr habt immer so glücklich ausgesehen.“ Ad infinitum (unendlich so weiter). Mitten in deine Fresse.
Menschen ziehen sich auch einfach zurück. Sie wollen „keine Seite wählen„. Sie möchten nicht anerkennen, dass sie mit Täter*innen verwandt/befreundet sind und weisen deswegen alles von sich, was auf das Gegenteil hindeutet. Also in erster Linie dich. Und all das geschieht, deshalb trifft es dich auch so richtig in den Nieren (RW=Redewendung), überall. Du kannst weder bei Freund*innen noch Familie sicher sein, dass sie dich unterstützen werden. Das gleiche gilt aber auch für Räume, die sich „gewaltvolles Verhalten ist nicht erwünscht und wird bestraft“ drauf geklebt haben. Auch darin bewegen sich Menschen, die schon verstanden haben, dass Übergriffe nicht in Ordnung sind. Aber hey, die Sache, über die du dich da beschwerst, das war ein Missverständnis. X tut es auch leid. X wusste nicht, dass das falsch ist. Uuuuund sooo weiter.

Du bist also nicht sicher.
Trotz dieser Hindernisse hast du es hoffentlich geschafft, einige Menschen zu finden, die dich unterstützen. Die dir glauben und dich darin bestärken, dich zu schützen. Was ich dabei aufbauend finde, sind Erzählungen von anderen Betroffenen. Ich kämpfe mich gerade durch diesen Thread.

Ein Auszug:

The thing I still can’t figure out, at this point in my life, is what to do about all those other family members, the ones who were less directly abusive, but stayed out of the way of my father, or helped him continue to have access to me. There’s the aunt and uncle who were complicit by looking the other way, by insisting it wasn’t so bad, and by repeatedly telling me my abuser really doesn’t deserve to lose all contact with his daughter. And my grandmother, and cousins, and a half-brother I haven’t seen in years… everyone acting like it’s just fine. Normal. I’m the one with the problem, right?

It’s worst at Christmas. And my birthday, too, somewhere in the unsorted mail is a check from my aunt that I haven’t deposited, because I’m working up the nerve to shred it instead. It’s the same aunt who’s the only one who pushes to find out why I’m not answering calls or letters or showing up at dinner–but when I told her why, she refused to accept it, so now I pretend I didn’t get the message, or lie.

Deswegen lese ich auch fugitivus und you know you are a survivor when. Dort schreiben Menschen, die ähnliche Probleme kennen. Und die deswegen Lösungen finden mussten. Davon kann ich lernen und, erstaunlicherweise, auch zehren. Manchmal ist es auch schrecklich, akzeptieren zu müssen, was für scheiß Menschen da draußen sind und wie viel Leid andere ertragen müssen. Gleichzeitig ist es aber beruhigend und ermutigend zu lesen, dass Menschen sich da durchkämpfen. Oder das Problem einfach verstehen.

***
Persönliche Erzählungen sind erwünscht. Benutzung einer anderen als der üblichen „Internetidentität“ sind kein Problem und werden unterstützt. Dran denken, dass dafür beim Kommentieren eine neue E-Mail-Adresse gewählt werden muss. Kann auch ausgedacht sein.
Bitte mit Trigger-Warnungen einleiten, wo notwendig.

Schlag halt zurück, Mädchen!

Schlagwörter: street harassment – please do have a piece of my mind – victim blaming – empowerment
Auch wenn es die Schlagwörter nicht vermuten lassen, folgt keine triggerende Sprache. Die Lektüre sollte eher angenehm sein.

che2001 schreibt hier

[…] Offensive Gegenwehr von Frauen scheint da kein Thema zu sein, auch Zweisatz appeliert an die Anständigkeit von Männern, argumentiert aber eigentlich nicht mit Gegenmaßnahmen. Frauen erscheinen zwar als Subjekte mit eigenen, der heteromännlichen Suprematie entgegenstehenden Interessen, zugleich aber als tendenziell ausgelieferte Opfer. Da waren wir schon mal weiter.

https://highoncliches.wordpress.com/2012/05/17/wie-verhalte-ich-mich-moglichst-nicht-wie-ein-arsch/

[…]

Es ist kein Zufall, dass ich Frauen* nicht thematisiere. Den Grund erkläre ich gerne.

Zunächst einmal: ich habe den Text nur überflogen und weiß deswegen a) nicht, ob es eine schlechte Idee ist, den Blog zu verlinken. Nach den Brocken, die ich las, sieht es aber unbedenklich aus. b) Ist dieses Zitat wirklich aus dem Zusammenhang gerissen, da ich den Text nicht vollständig gelesen habe. Deswegen besteht durchaus die Möglichkeit, dass ich mit meiner Argumentation, was che2001 angeht, offene Türen einrenne, aber das ist mir egal. Ich würde meine Motivation gerne allen erklären, da mir die Gründe wichtig sind.

Daraus, dass der Text sich an heterosexuelle Männer* richtet, abzuleiten, dass ich Frauen* hauptsächlich die Opferrolle zugedenke, ist logisch nicht haltbar. Dass mein Text Männer* fokussiert, ist ein Statement: ich sehe das Problem nicht bei den Frauen* (respektive anderen Menschen, die auf der Straße belästigt werden).

Ich sehe das Problem immer bei denen, die Grenzen überschreiten, nicht bei denen, die auf eine Grenzüberschreitung reagieren müssen. Ich richte mich absichtlich an die Aggressoren*, weil ich mich weigere, die Schuld bei den Falschen zu suchen. Und ich richte mich an die Täter*, weil es immer noch viel zu selten geschieht.
Ich will, dass es normal wird, sich an die Täter*innen zu richten. Ich will, dass es als unlogisch empfunden wird, sich mit etwas anderem an Betroffene und Überlebende zu wenden als: „Geht es dir gut? Wie kann ich dir helfen?“. Ich möchte, dass anerkannt wird, wen die Schuld trifft.

„Schuld“ klingt sehr pompös. Tatsächlich fällt es Menschen sehr schwer anzuerkennen, dass sie etwas falsch gemacht haben, wenn sie keine bösen Absichten hatten. Deswegen kann ich es auch gerne „Verantwortung“ nennen: wenn man Menschen eingeschüchtert, geängstigt oder verletzt hat, trägt man die Verantwortung für die ursächliche Handlung. Intention egal.
Ich möchte betonen: einzugestehen, dass man etwas falsch gemacht hat, ist nicht das Gleiche wie einzugestehen, dass man ein schlechter Mensch ist. Eine verletzende Handlung macht keinen schlechten Menschen. Nicht die Verantwortung zu übernehmen, das macht einen schlechten Menschen aus.

Ja mag sein, ich bin ein bisschen abgeschweift.
Was denke ich nun davon, dass Frauen* (oder von Diskriminierung Betroffene allgemein) sich wehren, ja sogar selber angreifen, zurückschlagen?
Na ja, ich denke: ‚Not my business, aber wenn ich kann, helfe ich gerne dabei.‘ You see, ich fühle mich nicht in einer Position Menschen vorzuschreiben, wie sie auf persönliche Angriffe reagieren. Denn selbst nett gemeinte Aufforderungen, die bestärkend (aka empowerend) wirken sollen, werden irgendwann immer gegen die Betroffenen verwendet. Schon mal von victim blaming gehört? Ach was, das hat jede*r schon mal erlebt!
Selbst bei alltäglichkeiten Unglücken wie einer Schürfwunde oder einem verlorenen Schlüssel werden einige Menschen kommen und sagen: „Aber hast du schon mal dran gedacht, Armschützer zu tragen?“ – „Du hättest ein Schlüsselband benutzen sollen. Ich benutze immer ein Schlüsselband.“ Woraufhin ich denke: ‚What the everloving fuck?! Ich habe eine Verletzung, die tut weh. Ich komme nicht in meine verdammte Wohnung und du gibst mir „Tips“, auf die ich schon vorgestern gekommen bin?‘

Ernsthaft, ich muss Frauen* nicht erzählen, was sie tun sollen. Jede*r kennt sir Leben am besten, weiß ob hän Probleme mit Panikattacken hat oder schon so lange im Theater spielt, dass hän sich in der Lage fühlt, jeden Klappspaten auf der Straße zur Schnecke zu machen. Und was unweigerlich passieren wird, wenn ich beginne, Menschen „Ratschläge“ zu geben, ist dass die mit den Panikattacken sich schlechter fühlen werden. Und dass es für ihre Umgebung noch akzeptabler wird, sie zu bedrängen, warum sie sich „nie wehren“. Das möchte ich in hundert Jahren nicht.

Dennoch will ich Betroffenen gerne helfen. Und deswegen versuche ich, wann ich kann, Menschen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie sich wehren können. Wie diese Artikelserie. Wenn ich tatsächlich Ideen habe, wie ich helfen kann, versuche ich sie z.B. auf diese Art mitzuteilen or hell, mit diesem ganzen Blog! Aber mir ist es wichtig, sie nur im Schaufenster auszustellen und zum Verschenken anzubieten. Ich will keinen High-Pressure-Verkauf¹ auf der Straße machen, bei dem ich Leute belabere, bis sie sich überzeugen lassen. Das erzeugt Druck. Das erzeugt Schuldgefühle und eine „hättest du mal“-Mentalität. Der direkte Vorgänger der „selber Schuld“-Mentalität, die ich wie die Pest meide.

Die andere Art, wie ich versuche Betroffenen zu helfen? Indem ich die Leute anspreche, die Scheiße bauen. Wo keine Ursache, da keine Wirkung und was ist denn effektiver, als gegen die Ursache vorzugehen?

Versteht mich nicht falsch. Sich verteidigen zu können ist toll und kann sehr befreiend sein. Weil unsere Welt scheiße ist, ist das oft sogar die einzige Hilfe, die man bekommt. Aber was die Welt nicht braucht, ist noch eine Person, die Menschen die Pflicht auferlegt, nicht bedroht zu werden. Glaubt mir, auch ohne mich wird Frauen* unaufhörlich nahegelegt, sich Pfefferspray zu besorgen oder eine Trillerpfeife. Ich verschaffe ihnen lieber die Freiheit, weder das eine noch das andere zu kaufen.

1 Es gibt einen Begriff für diese Methoden – und der hier ist definitiv falsch

Crossposted auf takover.beta

Links 17

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Leider mit Cis-Sexismus und Sexismus-Fail, aber sonst sehr guter Text darüber, wie eklig Perioden für Männer* sind [Englisch]

Sehr gute Erklärung, warum Trans-Männer „Tranny“ nicht reclaimen können und über die Überschneidungen von Transsexualität mit anderen Formen der Diskriminierung [Englisch]