„Warum so traurig/grimmig/schlecht gelaunt?“

Schlagwörter: street harassment – Sexismus – Lächelpflicht – körperliche Selbstbestimmung

„Lächel doch mal.“

Stop it right there! Guten Tag liebe Arschlöcher und Zuschauer*innen, was wir hier haben, ist ein Beispiel für Street Harassment. Es tritt am häufigsten im Sommer auf, ist aber auch zu anderen Jahreszeiten, in denen Frauen* das Haus verlassen, nicht ungesehen. Das Ereignis findet üblicherweise wie folgt statt:
Ein Mann* trifft eine Frau*, die nicht ausreichend lieb lächelt. In einem Versuch diesen Fehler zu korrigieren, teilt er* ihr heroisch (heldenhaft) mit, dass sie* ihre Gesichtsmuskeln anders anordnen solle. PROBLEM GELÖST UND DER WELTFRIEDEN BRACH HEREIN. ENDLICH MUSSTE KEIN MANN* SICH MEHR SCHLECHT FÜHLEN, WEIL EINE FRAU* EIGENE EMOTIONEN ZUR SCHAU STELLTE. Cue Blumenregen.

Ja, bei diesem Thema überwältigt mich ein wenig der Sarkasmus, weil es einer* immer und immer wieder begegnet. Wie ich auch letztens auf einem Spaziergang erfahren durfte. Als ich anschließend, wieder auf dem Fahrrad sitzend, registrierte, was gerade passiert war, zeigte ich ihm um ihn an meiner Meinung teilhaben zu lassen den Mittelfinger. Ob es noch ankam, vermag ich nicht zu sagen.

Das Beispiel ist schon ein Gutes.
Ich war in der örtlichen Grünanlage unterwegs, wo es nur eine begrenzte Anzahl an Wegen gibt. Den gleichen Weg zu nehmen wie ich vorgehabt hatte, kam dann schon nicht mehr in Frage; Einerseits wollte ich diesem Menschen nicht wieder begegnen, andererseits ist das eine Sicherheitsüberlegung. Denn – ich weiß nicht, ob das allen Menschen bewusst ist: Wenn ich den Typen nur ignoriert hätte oder gar auf seinen Scheiß reagiert, hätte mir „nichts Schlimmeres“ passieren können, als dass er mich nochmal vollabert, weil wir ausreichend etabliert hätten, dass es sein Recht ist zu bestimmen, welche Emotionen ich fake, während ich in der Öffentlichkeit unterwegs bin. Weltordnung wieder hergestellt. Dadurch, dass ich ein Zeichen des Widerspruches gezeigt habe, ist das schwerer abzuschätzen. Einige grenzüberschreitende Menschen lassen sich durch Widerstand von ihrem Weg abbringen. Sie ziehen dann weiter, um sich ein einfacheres Ziel zu suchen. Andere jedoch tun dies nur bei sehr starkem Widerstand (der so ein bisschen nach oben offen ist. Ist „mit einem Messer drohen“ schon ausreichend stark für Frauen*hasser? Mensch weiß es nicht.) Das bedeutet, eine weitere oder anhaltende Begegnung mit diesem Menschen könnte eskalieren (sich verschärfen). Über meine körperliche Sicherheit dachte ich also nach, als ich meinen „Entspannungsspaziergang“ machte. Oh ich vergaß, der Typ hatte einen mittelgroßen Hund bei sich. Die Möglichkeit „alle Wut rausbrüllen“ war damit ebenfalls gelaufen.

Jetzt frage ich mich: Wie kann es passieren, dass ein wildfremder Mann* (oder auch mein Mitstudent, den ich seit diesem Tag eher meide), es für angemessen hält mich dazu aufzufordern, mir eine andere Emotion aufs Gesicht zu pflastern? Wie kann man so völlig selbstzentriert sein, dass man anderen Menschen vorschreibt, welche Gefühle sie zeigen dürfen? Gehe ich bald auf den Rummel und sag dem Verkäufer am Riesenrad, dass er mehr Enthusiasmus (Begeisterung) zeigen soll? Sage ich meinem Zahnarzt, nicht immer so verbissen dreinzusehen, wenn er die Geräte auswählt? (Klar, die Beispiele sind nicht einmal weit hergeholt, weil exakt das im Kapitalismus von Service-Personal gefordert wird. Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens wird uns aber auffallen, dass das a) Jobs mit größtenteils Frauen* sind und b) diese Regeln anscheinend weniger für männliches Servicepersonal gelten bzw. bei ihnen weniger durchgesetzt werden. Zumindest meine Erfahrung.)
Abgesehen davon, dass Kapitalismus scheiße ist, wirken meine Beispiele einfach lächerlich. Natürlich sage ich keinem Typen, dass er nicht fröhlich aussieht. Einerseits haben Männer* ernsthafte Gefühle gepachtete (RW = Redewendung) und andererseits einen Guten Grund ™ für ihr Gemütslage. Ich hingegen könnte ruhig mehr Positivität an den Tag legen, wenn ich erfahren habe, dass ich vielleicht [man ersetze durch persönliche Krise]. Schließlich gibt es Männer* da draußen, denen heute schon mal das Eis heruntergefallen ist.

Ich weiß, ich weiß, viele Männer* möchten das nicht wahr haben, aber die Zeiten ändern sich; Vielleicht wird Frauen* mal so etwas wie Herrschaft über ihren Körper, inklusive ihrem Gesichtsausdruck, zugesprochen. Ich kämpfe auf jeden Fall dafür. Und ich weiß, dass man an den alten Zeiten festhalten möchte, wo alles viel einfacher war, weil die Frauen* da halt in der Küche waren, ohne dass man sie in sexistischen Horden dahin zurücktreiben musste. Man wusste einfach, wer wohin gehörte und es gab noch Ordnung und warum ich wie die Nazis kling, weiß ich auch nicht. (War das schon ein Godwin?)

Jedenfalls: I don’t fucking care about your feefees, random guy, and I’ll do my best to make your day worse if you fucking talk to me like that. Cheers.

16 Gedanken zu “„Warum so traurig/grimmig/schlecht gelaunt?“

  1. was ich gerne ergänzen würde: ich erlebe diese situationen gerade bei wildfremden nicht als ein aufzwingen von bestimmten emotionen, sondern ich komme mir viel mehr wie ein dekorationsgegenstand vor: wenn ich draussen rumlaufe, habe ich gefälligst hübsch und dekorativ“ zu lächeln. welche gedanken mir auch immer im kopf um hergehen ist wurscht, ich habe nett auszusehen dabei für andere.
    was mir eher bei näherstehenden passiert, ist „denk doch mal positiver“.
    bringt mich beides auf die palme.

  2. Im Park auf einer Bank sitzend ist ein schönes Beispiel. Mir wird genau der gleiche Scheiß gesagt, wenn ich im Fitnessstudio versuche 30 Kilo zu halten oder schwitzend vor Stress versuche die Kund_innen so schnell wie nur möglich zu bedienen. Mann kann halt immer noch einen drauf setzen und diese paar Worte sind m.E. ein starkes Instrument.

  3. Das mit dem Servicepersonal erinnert mich…Hier in Wien gibts den Typen/Meme vom „grantigen Kellner“, der einem eher launisch die Bestellung abnimmt und seinen Respekt einfordert. Das ist ja auch eigentlich recht cool, dass sich die Gesellschaft quasi dran gewöhnt und dann wertschätzt, NICHT mit Samtpfötchen vom Servicepersonal hofiert zu werden.

    Aber: KellnER wohlgemerkt, beim weiblichen Pendant ist das…gar nicht angekommen, da gibts als Meme höchstens die dralle Bardame/Heurigenschenkin, die man in den Po zwickt o_O

    So close!

    1. Gibt’s auch in der Kölner Variante: der Köbes. Das Gleiche in blau (denn diese Farbe hat traditionell die getragene Schürze).

  4. gern genommenes „argument“ gegen feministische kritik: „aber mir ist das noch nie passiert! also ist es auch gar nicht schlimm/wahr/wichtig“.
    deshalb:
    mir ist das phänomen lächeldochmal erst in postings wie diesem begegnet. will heißen, mir wurde so ein mist noch nicht persönlich erzählt.
    darüber bin ich auch mal derbe froh.
    und ich finde es erschreckend, dass irgendwelche typen nicht nur mit dieser unverschämten arroganz herumlaufen, fremden menschen in ihren gesichtsausdruck reinzureden, sondern auch noch darauf beharren, im recht zu sein.

    danke, dass es leute wie dich gibt, die das öffentlich kritisieren und sich auch durch unzählbare beschissene nicht freigeschaltete comments nicht davon abhalten lassen.

  5. Mir fällt gerade keine konkrete Situation ein in der eine männliche* Person so etwas zu mir gesagt hat(allerdings kann man solche Sachen auch mal „vergessen“ wenn man den geschärften Blcik für solche Situationen (noch) nicht hat) aber das ist schon ab und an vorgekommen. Den Titelsatz allerdings habe ich auch schon mal von ner Frau gehört und die Situation ist mir noch sehr vertraut: Ich hab mich einfach nicht so wohl gefühlt zumal auf ner Party von (vermutlich) fröhlichen Menschen umgeben. Dass ich nu mal nich immer fröhlich bin und sein kann und dass ich das aber durchaus auch mal bin ohne sofort meine Umwelt durch in Anspruch nehmen meiner Gesichtsmuskeln davon zu unterrichten war in dem Fall der Person wohl nicht bekannt. Hat besagte (zumal auch alkoholisierte) Person auch ganz sicher nicht böse gemeint. Aber MICH hat es sehr verunsichert.
    Egal welches Geschlecht: Lasst uns anderen Menschen keine Gefühle vorschlagen/vorschreiben! Gefühle sind für einen selbst manchmal schon verwirrend genug. Den Rat einer dritten unaufgeforderten Person braucht es da nicht.

  6. Ich stimme dir zu. Es ist dein gutes Recht, miesepetrig rumzulaufen. Lass dir von niemandem reinreden!

  7. Ich bin froh, dass du darüber schreibst.
    Bis vor kurzem war mir nicht klar, wie sexistisch Aussagen wie „Lach doch mal!“ sind, dass sie meist von Männern* ausgeht und meist Frauen* trifft. Ich werde letzteren zugeordnet und erlebte sowas schon häufiger. Ich fand es ziemlich nervig, aber der sexistische Gehalt dieser Aussage war mir nicht bewusst.
    Danke!

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