Intelligenzija

Schlagwörter: Klassismus – Intelligenz – Ableismus – unsere Gesellschaft – Ausschluss

Im Folgenden meine ich mit „Intelligenz“ nur das, was man mit IQ-Tests ermitteln möchte¹/die Gesellschaft als „intelligent“ akzeptiert.

In meinen Kommentarregeln steht, dass ich weder „Idiot“ noch „dumm“ auf dieser Seite lesen möchte. Schon seid einiger Zeit verkneife ich mir diese Worte sowie „blöd“ und auch „bescheuert“, obwohl ich über letzterem immer noch grübele. Für viele Gelegenheiten bleibt dann nicht mehr viel übrig, das ich sagen kann, aber das ist nun einmal ein gesellschaftliches Problem.

In mir zuckt es auch zusammen, wenn jemand sich ereifert, wie „dumm“ doch ein*e andere*r sei, dies und jenes nicht zu verstehen.
Das transportiert: „Ich kann nicht fassen, dass es Menschen gibt, die nicht exakt die gleichen Dinge gelernt und erlebt haben wie ich.“, immer verbunden mit dem Glauben, dass die anderen deswegen zwangsläufig weniger wissen müssen.

Wissen wird in einer Hierarchie geordnet. An der Spitze steht das, was man für einen Intelligenztest benötigt, um Politik oder (westliche, männliche, heterosexuelle, weiße) Geschichte erklären zu können. Je weiter sich das Wissen vom Notwendigen des westlichen weißen erwachsenen verpartnerten Mannes entfernt, desto unwichtiger wird es. Popkulturelles Wissen wird von der „Elite“ verächtlich betrachtet, es sei denn, es handelt sich nicht um Popkultur, sondern „Kunst“. Welche Werke den Schritt von Popkultur zu Kunst vollzogen haben, wird dabei wiederum von Eliten bestimmt.
Wissen, das abseits von Sternekocherei für die Aufrechterhaltung des Haushaltes benötigt wird, ist ebenso unwichtig. Sich schminken zu können, ist „keine Kunst“. Youtuberinnen*, die Makeup- oder Haushaltstips geben, müssen sich regelmäßig anhören, wie „nutzlos“ das sei. So viel zur Hierarchie von Wissen.

Dann gibt es noch den anderen Aspekt: Wissen scheint tatsächlich als quantifiziert wahrgenommen zu werden; es gibt Leute die „viel“ wissen und welche die „(zu) wenig“ wissen, allgemein als „dumm“ bezeichnet. Wie an dieser Stelle sicher schon klar ist, muss man, um „viel“ zu wissen viel vom Richtigen wissen. Landwirtschaftliche Geräte und wie man sie am effektivsten nutzt bis ins kleinste Detail zu verstehen ist nicht gefragt, noch die Produktunterschiede verschiedener Kosmetikmarken ausführlich auflisten zu können. Hier schlägt die Hierarchie wieder zu.
Zwangsläufig kommt es zu einer Abwertung von Menschen, die nicht weiß, akademisch, männlich, … sind. Denn egal wie viel sie von dem, was sie für ihre Lebensrealität brauchen, wissen, es wird immer das Falsche sein. Sie mögen wesentlich mehr wissen, weil ihnen – über das „Richtige“ hinaus – noch das bekannt ist, womit sie ihre tägliche Arbeit bestreiten, aber das zählt nicht.
Gleichzeitig wird ihre „Dummheit“ dazu herangezogen, Forderung nach mehr Anerkennung, gerechter Behandlung als nicht legitim zu verwerfen und sie als Personengruppe schlicht herabzusetzen. Ihre Dummheit soll bedeuten, dass sie es „nicht besser verdient haben“. Dummheit als Grund für Strafe und Aberkennung der Menschlichkeit. (Hartz IV.)

Ein offensichtlichter Konsequenz hat das natürlich auch: Menschen, denen man anmerkt, dass sie einen niedrigeren IQ haben oder wo Menschen einfach glauben, dass das so sei, werden unmittelbar mit allen negativen Stereotypen belegt und sind entsprechenden Angriffen ausgesetzt. Ableismus und Klassismus ist Tür und Tor geöffnet (auch Speziezismus, wenn ich drüber nachdenke).

Die „Intelligenten“ verfallen derweil in eine Hybris². Ja, alle, die ihr (wie ich) studiert oder studiert habt: wir sind nicht ausgenommen. Intelligenz und „gebildet sein“ wird eine positive Bedeutung beigemessen. Dialektloses Sprechen hilft, feministische Schlagwörter verleihen einen Anschein der Kompetenz. Hier werden ganz aktiv Menschen ausgeschlossen oder gehen von selbst. Wer will aber zu denen gehören, die zu intelligent wären, um auf den Täter ‚reinzufallen?

Ich schrecke wahrscheinlich keine*n mehr auf, wenn ich darauf hinweise, dass all das Aufwerten der einen und Abwerten der anderen Absicht ist. Unser System funktioniert prächtig, wenn wir immer neue Gründe finden, Menschen ihre Menschlichkeit abzusprechen. Wie sollen wir sonst vor uns rechtfertigen, andere wie Dreck zu behandeln?


1 Dazu bitte die Kommentare beachten.
2 Selbstüberschätzung

Crossposted auf takeover.beta

17 Gedanken zu “Intelligenzija

  1. Kleiner Einwurf zu Deinem Eingangsstatement:
    „Im Folgenden meine ich mit “Intelligenz” nur das, was man mit IQ-Tests ermitteln möchte/die Gesellschaft als “intelligent” akzeptiert.“

    Ich würde das nicht gleichsetzen wollen.

      1. Ich meinte „was man mit IQ-Tests ermitteln möchte/die Gesellschaft als “intelligent” akzeptiert.“ die beiden Punkte.

  2. Nicht zwingend. Ein hoher IQ führt nicht automatisch dazu, dass Personen als „intelligent“ akzeptiert werden.
    Ein hoher IQ führt nicht zwangsläufig zu einer akademischen Laufbahn.

    1. Ich würde bei der Gleichsetzung von Intelligenztest-Ergebnissen und dem,was in unserer Gesellschaft als intelligent (+erfolgreich) wahrgenommen wird,ebenfalls widersprechen,allerdings auch in die umgekehrte Richtung. Als ich in der Mittelstufe des Gymnasiums war,hatte ich diverse Probleme,weshalb meine Schule mich zu einem Kinder- und Jugendpsychiater geschickt hat,der bei mir einen IQ von 87 festgestellt hat. Ein IQ von 80 gilt in der Psychologie als geistig behindert (sic.). Momentan studiere ich und habe einen Einser-Notendurchschnitt. Intelligenztests sind meiner Meinung nach hochgradig unwissenschaftlich und es gibt genug fertig ausgebildete WissenschaftlerInnen,die das auch so sehen.

    2. Nicht zwingend. Ein hoher IQ führt nicht automatisch dazu, dass Personen als “intelligent” akzeptiert werden.

      Der Schrägstrich zwischen den beiden Dingen, die als Intelligenz betrachtet werden (können) in unserer Gesellschaft, sollte nicht bedeuten, dass ich sie gleichsetze. Ich habe sie nur aufgezählt, um zu zeigen, von welchen Definitionen ich mich abgrenze, weil ich die Ansicht nicht teile. Demnach habe ich auch keine Allaussage getroffen, dass alle Menschen mit einem akademischen Abschluss, einem hohen IQ oder anderen Eigenschaften als intelligent akzeptiert werden.
      Dein Einwand jedoch erscheint mir wie Derailing, weil ich gerade nicht darüber sprechen wollte, welche Personen als intelligent begriffen werden. Wenn du nun aus der Perspektive argumentierst, welche „trotz meiner Aussagen“ nicht als intelligent begriffen werden, sehe ich das als Ablenkung von denen, die per se als dumm dargestellt werden in dieser Gesellschaft. Dazu mehr bei den anderen Kommentaren.

      Ein hoher IQ führt nicht zwangsläufig zu einer akademischen Laufbahn.

      Habe ich nie behauptet.

  3. Hm… Der Text spricht viele wahre & miese Dinge an, zu denen ich aber gerne einige Ergänzungen (Einschränkungen?) gesehen hätte:
    Die Hochhaltung der Intelligenz ist eigentlich eine Hochhaltung von abgesegnetem Wissen, der Elite dienlichen Arbeitsmethoden & Intelligenz, die nicht in Kritik an der Gesellschaft etc. resultiert. Das hast du teilweise angedeutet, aber meiner Meinung nach fällt es unter den Tisch, dass es parallel dazu eine Intellektuellenfeindlichkeit (Das Wort ist mir woanders mal begegenet) gibt.
    Ich weiß nicht, inwiefern es da Zusammenhänge gibt, aber trotz dieses Drucks, Leistung zu erbringen, das „richtige“ Wissen zu sammeln usw., ist einer der häufigsten Mobbinggründe in der Schule Intelligenz. Ich sag bewusst nicht Strebsamkeit, denn Strebsamkeit („Du Streber_in!“) ist oft nichtmal vorhanden.
    Ein weiterer Punkt, der mir am Herzen liegt, ist das, was wohl auch jane meinte: Ein hoher IQ, gerade im Bereich „hochbegabt“ oder gar „höchstbegabt“, führt nicht immer dazu, dass mensch als intelligent wahrgenommen wird, & auch häufig NICHT zu einer akademischer Laufbahn, & wenn, dann trotzdem nicht immer zu einer Einordnung in die Elite.

    Sehr schön finde ich, wie du mit Beispielen wie Kochen & Schminken die Koppelung zwischen Gruppe von Menschen, (Wissens-(oder auch „Könnens-„))Gebiet & Wertung deutlich machst.

    1. Deine Einwände sind korrekt, aber auch Derailing. Das Thema des Artikels war halt nicht „wie man trotz Intelligenz diskriminiert wird“. Ich lass den Kommentar mal stehen, weil er eine inhaltliche Ergänzung darstellt, möchte aber darum bitten, auf die Diskriminierung von Menschen mit hohem IQ nicht weiter einzugehen. – Innerhalb dieses Kommentarthreads.

  4. Ich werde versuchen, nicht mehr schlecht über meine Nachtbarn zu reden. Diese ganzen Inteligenzvorurteile, die meinen Alltag durchziehen werde ich überdenken und versuchen, sie zu identifizieren und abzulegen.
    Ich hab durch den Link jetzt zwei Artikel über Compilance und den Fall dahinter zu lesen. Mir ist übel. Die Sache ist übel. Ich denke es ist nichts wichtiger als sich seiner Fehler als Mensch bewusst zu sein. Dazu gehört diese Autoritätsgeschichte aber auch, dass wir andere Unterdrücken, um uns besser zu fühlen und das wir unsere Privilegien nicht erkennen wollen. Ich bin unglaublich erschüttert.
    Sagt euren Kindern niemals, dass sie gehorchen müssen, weil jemand erwachsen ist oder sowas. Autoritätsglaube ist gefährlich. Sagt euren Kindern (oder Neffen/Nichten), dass Leute ihre Befehle begründen müssen. Das ganze klingt gerade irgendwie schräg, aber ich bin zu aufgelöst, um mich richtig auszudrücken.

  5. (Sorry, hatte den falschen meiner Kommentare gelöscht.)

    Wie ich mir den Artikel nochmal durchlese, sehe ich, dass das Abgrenzen vom IQ(-Test) tatsächlich nicht wirklich nötig gewesen wäre. Ich hätte einfach mathematische Fähigkeiten oder ähnliches schreiben sollen. Denn die Behauptung der „Dummheit“ geht meist einher mit Diskriminierung (wie Klassismus und Ableismus), der berechnete IQ an sich ist selten ein Maßstab.
    Was ich mir für diese Diskussion wünsche, ist auf jeden Fall die Betrachtung aus Betroffenenperspektive – also z.B. Betroffenheit von Ableismus und Klassismus. Dass es auch Verlierer*innen auf der anderen Seite gibt, ist klar, die gibt es immer. Aber das ist nicht Thema hier.

  6. Naja,auch auf die gefahr hin,dass ich jetzt am thema vorbeischreibe: ich finde gerade in deutschland ist diese einteilung in dumme und nichtdumme,in begabte und nichtbegabte vorherschender als anderswo. Beispiel kunstunterricht in der schule. Es scheint nicht ziel des unterrichtes to sein jemanden beizubringen wie man sich konkret verbessert sondern es werden nur recht oberflaechlich bestimmte themen angegangen, die die schueler dann umzusetzen haben. Das ergebnis faellt dann mehr oder weniger gut aus, das hat dann mit der „kuenstlerischen begabung“ zu tun. Im austausch mit anderen die auch gerne malen wurde mir gesagt, dass sie von alleine draufgekommen waeren wie man „richtig sieht und malt“. Von daher denke ich dass mein kunstunterricht keine ausnahme sondern die regel ist. Als ich jedoch mal auf eine schule im ausland wechselte dann hatten wir auch kunstunterricht. Der war jedoch ganz anders aufgelegt. Es wurde erklaert wie man „richtig sieht“ und uebungen angeleitet die der verbesserung des malstiles halfen. Dazu kamen dann auch verschiedene themen. Jedoch wurde wert drauf gelegt jedem zu vermittlen dass es nicht an der begabung liegt sondern an der uebung und dass im prinzip jeder malen kann. Auf den ersten blick mag das beispiel nicht sehr relevant erscheinen,mein eindruck jedoch ist es,dass diese einstellung entweder jemand ist begabt oder nicht, entweder jemand ist schlau oder dann doch dumm nicht beim kunstunterricht endet sondern auch in faechern vorherrscht.und ich finde in deutschland ist es eher weiterverbreitet as in andern laendern. Vielleicht liegt es daran, dass man mit zehn jahren schon in die „dumme“ hauptschule,die „gute“ realschule oder das „intelligente“ gymnasium abgeschoben wird. Heutzutage scheinen sehr viele Hauptschulen aus schuelermangel geschlossen oder mit realschulen zusammengeschlossen zu werden, weil eben nur noch wenige leute ihre kinder auf solch eine schule schicken wollen. Hauptschulabsolventen stehen ja im ruf „duemmer“ zu sein als realschueler oder abiturienten und werden entsprechend auch schlechtere chancen auf dem arbeitsmarkt gegeben. Wobei manche arbeitgeber eben die anderen abschluesse verlangen, wo vor 20 oder 10 jahren es noch ein hauptschulabschluss getan hat. Alles in allem liegt in dem urteil „dumm“ eine bewertung zu grunde,die oftmals in der situation irgendwie nicht hilfreich ist. Ja,leute machen fehler und die sind oftmals dumm,aber wenn man dann die leute und nicht die fehler als dumm bezeichnet dann wird das all zu oft eine selbsterfuellende prophezeiung.

    1. Jo, schon irgendwie am Thema vorbei, aber ich lass es mal stehen.

      Was halt zu deinen Punkten hinzukommt, ist die Diskriminierungsebene. Einerseits, dass es für „Dumme“ Konsequenzen gibt, andererseits dass zum Beispiel People of Color in der Schule schlechter bewertet werden und infolgedessen viel höhere Leistungen erbringen müssen, um überhaupt aufs Gymnasium zu „dürfen“ usw.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.